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Fliptown

Von:Julia
20. Februar 2025 um 23:30

 


Fliptown mag mechanisch ein Flip’n’Write sein, doch die riesigen Spielpläne laden zu einer Entdeckungsreise ein, die die Grenzen des Genres sprengt. Doch bedeutet mehr wirklich immer besser?

Fliptown ist ein Flip’n‘Write von Seven Aramini für 1-4 Spieler*innen ab 12 Jahren und dauert 30-45 Minuten.

[Spielmaterial: Thematisch, aber nicht ohne Hürden]



Als modernes Flip’n’Write ist es natürlich – und glücklicherweise – Standard, dass für alle Spielenden je ein abwischbares Tableau in der Box von Fliptown zu finden ist. Dieses lässt sich zwei Mal aufklappen und entfaltet erst dann seine ganze Imposanz. In der wohligen Mitte zwischen einem Ganz schön Clever und einem Twilight Inscription gibt es hier also je nach Spieler*innen-Niveau ein gewisses Maß an Reizüberflutung.

Zwar hält sich das Design des Spiels sehr nah am Thema – was die Vielzahl an Aktionsmöglichkeiten und entsprechenden Icons angeht, ist hier aber das Gegenteil von Wüste angesagt. Das gesamte Brett ist in der gleichen Farbgebung gehalten wie das Cover des Spiels, was gelinde gesagt scharf an einer Barrierefreiheits-Katastrophe vorbeischlittert. So kann das Spielbrett im ersten Moment definitiv überfordern – die Frage bleibt, ob man hier die Zugängigkeit für das Design hätte opfern müssen.


Aber: So fällt das Spiel natürlich auch auf und weht ein paar Steppenläufer über den heimischen Tisch. Zusätzlich gibt es die fürs Flip-Element benötigten Karten. Die sind in dieser Box in Form von einem klassischen Pokerset enthalten. Außerdem gibt es Automa-Karten und ein paar kleinere Ergänzungen fürs fortgeschrittene Spiel.
Also, auf in den Saloon!

[Spielablauf: Smarter Western-Showdown]

 

Spoiler vorab: Die Kritik am Design bleibt einsam. Darüber hinaus würde kein Sheriff der Stadt Fliptown auch nur ein Haar krümmen. Angefangen beim Grundmechanismus begeistert das Spiel mit frischem Wind fürs Genre.

Jede Runde werden drei Karten aufgedeckt, die alle Mitspielenden je drei unterschiedlichen Slots zuordnen dürfen:

  1. Farbkarte: Entscheidet, in welchem Bereich eures Tableaus ihr etwas macht.
  2. Wertkarte: Entscheidet, welche der Aktionen in dem Bereich ihr machen dürft.
  3. Handkarte: Wird zum Pokerblatt hinzugefügt, das euch am Ende einer Runde nochmal Punkte gibt.

Auf dieser Basis geht ihr nun auf Entdeckungstour. Und zu entdecken gibt es einiges!

Die vier Farben – also Kreuz, Pik, Kreuz und Karo – erlauben euch Zugang zu vier verschiedenen Bereichen, die allesamt völlig anders funktionieren:

  • Die Wildnis – Hier geht ihr einen Pfad entlang, der euch verschiedene Boni gibt. In bester Qwixx-Manier gibt es aber kein Zurück: Überspringt ihr einen Ort, könnt ihr ihn nicht mehr besuchen.  
  • Ödland – Hier könnt ihr Vieh stehlen, Postkutschen überfallen oder einen Eisenbahnraub probieren. Um die Belohnung zu ergattern, müsst ihr eine Karte vom Stapel aufdecken – ist diese Raubkarte höher als der Wert eures Ziels, war der Versuch erfolgreich. Sonst geht ihr leer aus.
  • Die Mine – Hier grabt ihr euch immer tiefer, indem ihr verschiedene Stollen herabklettert. Aus einer Ebene könnt ihr in die nächst tiefer gelegene absteigen, um dort an die besten Funde zu kommen.
  • Die Stadt – Hier findet ihr 13 verschiedene Orte, die euch alle völlig unterschiedliche Boni verleihen. Manche bieten euch einen Wett-Mechanismus, andere geben euch Upgrades für die anderen Gebiete, wieder andere ermöglichen euch, eure Sünden reinzuwaschen und die fiesen Wanted-Poster zu streichen.

Außerdem findet ihr auf eurem Tableau den Friedhof, den ihr immer dann besuchen könnt, wenn ihr ansonsten keine Aktion ausführen könnt oder möchtet. Dort warten auch Boni auf euch – aber eben auch die Wanted-Poster, die in der Sheriff-Phase spannend werden.


Ihr spielt Fliptown über drei Runden, wobei jede Runde aus sechs Phasen besteht. Das sind die Phasen:

  1. Zugstapel mischen
  2. Sheriffkarte festlegen (oberste vom Stapel verdeckt zur Seite legen)
  3. 5 Züge ausführen (5x3 Karten abhandeln)
  4. Pokerblatt abhandeln
  5. Schürfen und Schuften (Bonuspunkte einsammeln)
  6. Sheriff führt Verhandlungen durch (Sheriff-Kare aufdecken und mit Wanted-Postern der Spielenden abgleichen -> Bestrafungen für zu viele Wanted-Poster mit Push-Your-Luck-Element)

Viele der Phasen begeistern noch mit besonderen Kniffen, die hier den Rahmen sprengen würden. Zum Pokerblatt sei aber zu sagen, dass der Mechanismus hier richtig smart integriert wurde. So wählt ihr in jedem der fünf Züge eine Karte für die Pokerhand aus. Am Ende der fünf Züge hat so jede Person eine Pokerhand, die je nach Stärke neue Boni entlockt. 

Am Ende des Spiels gewinnt die Person, die die meisten Siegpunkte sammeln konnte. Und die warten in allen Gebieten auf ganz unterschiedliche Weise auf euch.

[Fazit: Ein absolutes Flip’n’Write-Highlight]

Fliptown schafft den Spagat zwischen Entdecken, fluffigem Mechanismus und hohem Wiederspielwert mit links. Das Spiel ist so smart durchdacht und so reichhaltig, wie es die wenigsten Flip’n’Writes sind. Selbst für die, die mit dem Genre eher herzloses Zahlen-Abklappern verbinden, ist dieses Spiel daher einen Blick wert. 

Ihr könnt Wetten abschließen, ihr könnt Pokern, ihr könnt epische Momente erleben und richtig schöne Kettenzüge aktivieren. Trotz kompakter Box wartet hier ein tolles Kennerspiel mit etwas höherer Einstiegshürde auf euch, das dann schnell zum Dauerbrenner wird.

Eins sei dazu aber noch gesagt: Fliptown funktioniert als reines Solo-Spiel (mindestens) genau so gut wie in Vollbesetzung. Interaktion zwischen den Spielenden ist hier eher Mangelware, die Rangelei im Saloon macht jede*r für sich aus. Wenn euch das nicht stört und ihr jedes Spiele-Highlight im Regal haben möchtet: Das hier ist eines davon.

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Fliptown von Steven Aramini
Erschienen bei Strohmann
Für 2-4 Spieler in 30-45 Minuten ab 12 Jahren
Boardgamegeek-Link

Kaufen bei der Meeplebox*

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Strohmann)

*es handelt sich um einen Affiliate-Link. Für Euch entstehen keine weiteren Kosten. Wir erhalten eine Provision.

Die Gilde der fahrenden Händler

Von:Oli
12. Dezember 2024 um 23:30

Die Gilde der fahrenden Händler ist nun wahrlich kein „frisches“ Spiel mehr. Doch fühlt es sich trotz allem frisch an. Für mich zumindest. Als der ursprüngliche Hype losging, wartete ich auf die deutsche Version. Als die dann erschienen ist, hatte ich zu viele ungespielte Sachen auf dem Berg der guten Aussichten liegen und dann…war das Spiel ausverkauft. Prima. Glücklicherweise kam das Spiel dann auf die Liste der Nominierten zum Kennerspiel des Jahres und Skellig begann mit der Nachproduktion. So konnte das Spiel nun endlich auf meinem Tisch landen.


Und ja, was soll ich sagen. Eigentlich ist es im Herzen ein Flip & Write, nur ohne Stifte sondern mit Klötzchen, mit einfachen Regeln und relativ wenig Material. Aber durch die vielen wirklich interessanten Entscheidungen, die man hier in einer Partie treffen muss, hat es mich total abgeholt und ist mein Kennerspiel des Jahres des Herzens (was sicherlich auch daran liegen mag, dass ich die anderen beiden Nominierten noch nicht gespielt habe, hehe). Aber unabhängig von irgendwelchen Preisen und Platzierungen, ist Die Gilde der fahrenden Händler ein absolut tolles Spiel, das bei meinem Spielegeschmack genau ins schwarze getroffen hat. Warum das so ist, kann ich dabei gar nicht so genau fassen. Es ist einfach diese Mischung aus schlichten Regeln, vielen Möglichkeiten und Entscheidungen und einem total fluffigen, leichtgängigen Spielgefühl, dass einfach Spaß macht. Auch wenn es mir ein wenig Kingdom Builder Vibes gibt und ich nicht grade der größte Fan von Kingdom Builder bin. Aber die Gilde ist einfach so viel besser als der Builder (sorry…). Soweit also mein vermutlich wenig überraschendes Fazit zur Gilde der fahrenden Händler. Dennoch sollten wir nochmal einen Blick ins innere der Schachtel und auf den Spieletisch werfen:

Zum einen finden wir in der Schachtel acht Spielpläne mit insgesamt vier unterschiedlichen Landkarten, die für Varianz sorgen. Daneben gibt es ein paar Holztürme und einige Token (Münzen, Handelsposten und Schätze) und in jeder Spielendfarbe einige Holzwürfel (= Kundschafter) und Dörfer. Nicht zuletzt natürlich noch einige Karten sowie ein Bord zur Kartenauslage. Gespielt wird über vier Runden. In Runde eins besteht der zu flippende Kartenstapel aus fünf Karten plus der Karte für Runde 1. Jede Karte hat einen eigenen Platz auf dem Bord, sofern sie gespielt wurde. Man weiß also immer, welche Karten noch kommen könnten. In jeder Runde kommt zudem die Karte mit der jeweiligen Rundennummer hinzu. Außer in Runde vier, da diese Karte mit den Runden 1-3 beschriftet ist. Was es mit diesen Rundenkarten auf sich hat, dazu gleich mehr. Zu der Auslage kommen zudem drei Zielkarten, die man zufällig aus den sechs Zielkarten, die es für die gewählte Landschaft gibt, zieht. Außerdem kommt noch ein Stapel Erforschungskarten sowie ein Stapel Schatzkarten dazu. Aufgebaut ist das Spiel also in maximal 5 Minuten und dann können die Regeln erklärt werden, was ungefähr genauso lang (bzw. kurz) geht:


Eine Karte wird aufgedeckt und bestimmt dadurch, wo man in dieser Runde Kundschafter setzen darf, also z.B. „zwei auf Graslandfelder“ oder „einen auf ein Bergfeld“. Kundschafter müssen dabei zu Beginn immer angrenzend an die eigene Hauptstadt gesetzt werden, anschließend aber auch an bereits bestehende Kundschafter oder eigene Dörfer. Dörfer darf ich gründen, sobald ich alle zusammenhängenden Sechsecke eines Landschaftstyps erkundet habe. Für das Gründen von Dörfern bekomme ich Münzen und zwar je nach Runde aufsteigend viele. Da ich nur 13 Stück habe und diese einmal gesetzt, nicht mehr verschoben werden können, muss gut überlegt werden, wann und wo ich diese setzen möchte. Erreiche ich einen der Türme auf der Landkarte, stelle ich einen Turm drauf und bekomme Münzen. Erreiche ich eine Ruine, darf ich Schätze heben (entweder sofort Münzen oder am Spielende). Und decke ich Münzen ab, bekomme ich eben Münzen. Verbinde ich zwei aufgedruckte Städte miteinander, bekomme ich ebenfalls Münzen – muss eine der Städte dann aber durch einen Handelsposten überdecken. Diese Stadt kann also künftig nicht mehr mit anderen Städten für Münzen verbunden werden. Alle haben also die gleiche Landkarte und müssen immer das Gleiche bauen. ABER: wird eine der Rundenkarten gezogen, so dürfe alle zwei Erforschungskarten ziehen und sich eine davon aussuchen und eine ganz persönliche Aktion durchführen. Diese persönlichen Karten sammelt man und das die Rundenkarten jeder Runde zwar in den Stapel dazukommen, aber nicht aussortiert werden….nutzt man die Aktion von Runde 1 also mindestens vier Mal im Spiel. Mindestens, weil die Rundenkarte von Runde Vier einen später wählen lässt, welche der drei Aktionen man ausüben möchte.

Im Kern sind das auch schon alle Regeln. Der Clou kommt tatsächlich durch das geschickte Platzieren der eigenen Dörfer. Denn nach jeder Runde werden sämtliche Kundschafter vom Spielfeld genommen und das ganze geht quasi wieder von vorne los. Wer also in Runde 1 kein einziges Dorf gegründet hat, fängt gefühlt wieder bei Null an. Und genau dieses „Zurücksetzen“ dürfte der Grund sein, warum Die Gilde der fahrenden Händler kein Flip & Write Spiel geworden ist. Weil das ständige Abwischen einfach zu mühselig, nervig und fehlerbehaftet geworden wäre. Aber genau dieser Clou mach das Spiel so taktisch, so spannend und auch so großartig. Am Ende gewinnt, wer die meisten Münzen erringen konnte.


Nach vier Runden und guten 30-60 Minuten ist das Spiel zu Ende und schreit nach einer Revanche. Allerdings muss man auch sagen, dass man hier Interaktion vergeblich sucht. Zwar ist es bei den Aufträgen so, dass die Person, die einen solchen als erstes abschließt mehr Münzen bekommt, als alle nachfolgenden und dadurch ein kleines Wettrennen entsteht. Das hilft dem Spiel aber nicht wirklich dabei, interaktiver zu wirken. Muss es (für mich) aber auch gar nicht. Dazu gesellt sich konsequenterweise ein wirklich guter Solo-Modus, der es allerdings auch in sich hat und der praktisch ohne Sonderregeln auskommt. Außer: man muss alle Aufträge erfüllen (und diese fallen im Laufe der Runden weg) und am Ende je nach Schwierigkeitsgrad eine bestimmte Münz-Schwelle überschritten haben.

Abschließend verweise ich gern auf mein Fazit zu Beginn dieses Textes: Ich finde Die Gilde der fahrenden Händler absolut großartig und ein Must-Have für jede gut sortierte Sammlung!


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Die Gilde der fahrenden Händler von Matthew Dunstan und Brett J- Gilbert
Erschienen bei Skellig Games
Für 1 - 4 Spielende in 45 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Skellig Games)
*es handelt sich um einen Affiliate-Link. Für Euch entstehen keine zusätzlichen Kosten, wir erhalten eine kleine Provision.

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