Normale Ansicht

Received before yesterday

Vor 20 Jahren (150): Schatten über Camelot

Zeitungsausschnitte

Schon vor etwa 20 Jahren deutete sich an, dass Spielkritik in Tageszeitungen einen zunehmend schwereren Stand haben würde. Zeitungen kämpften mit Auflagen- und Anzeigenverlust und wollten sparen, sparen, sparen. Prominentester Beleg des Niedergangs war die sang- und klanglose Einstellung der traditionsreichen Spielerubrik in der Süddeutschen Zeitung.

Die Entwicklung hat sich fortgesetzt und dazu geführt, dass ich immer weniger Lust hatte, für Tageszeitungen zu schreiben. Wochenendteile und Beilagen wurden gestrichen oder mit denen anderen Zeitungen zusammengelegt. In den Redaktionen gab es viele Personalwechsel und geänderte Zuständigkeiten; statt Redakteur:innen wurden Volontär:innen oder gar Praktikant:innen meine Ansprechpartner:innen, durften aber nichts allein entscheiden, was Absprachen kompliziert machte und in die Länge zog. Statt Kritiken waren immer häufiger nur Spiele-Tipps gefragt. Und selbst um die unterzubringen, musste man mehr kämpfen. Falsch fühlte es sich ohnehin an; Spiele wurden zu „Geschenkideen“ degradiert.

Vor ein paar Tagen habe ich meine Zeitungsbelege des Jahres 2005 ins Altpapier geworfen und vorher (auf Inspirationssuche für diese Rubrik) noch einmal durchgeblättert und war doch ziemlich überrascht, wie wenig mich der Negativtrend damals noch betraf. Meine Erinnerung wäre anders gewesen. 2004 hatte ich in der Fairplay einen größeren Bericht über das Kolumnensterben geschrieben, und ich hätte gedacht, das sei aus einer größeren persönlichen Betroffenheit heraus geschehen. Tatsächlich hatte auch ich 2004 zum ersten Mal eine Kolumne verloren. Aber so schwer wog das offenbar nicht. Ich hatte noch viele Veröffentlichungsmöglichkeiten. MANILA, ein gutes, aber sicher nicht das Top-Spiel des Jahres, hatte ich in immerhin vier Zeitungen besprochen und in drei Zeitungen SCHATTEN ÜBER CAMELOT. Damals konnte ich die Spiele noch nach meinen eigenen Kriterien auswählen und darüber schreiben, was ich wollte. Es musste keine Empfehlung sein.

Von SCHATTEN ÜBER CAMELOT (Bruno Cathala und Serge Lalet bei Days of Wonder) war ich nämlich gar nicht so sehr begeistert. Ich bemängelte die Anleitung, ich nörgelte, trotz atmosphärischer Grafik und exzellentem Spielmaterial blieben die Abläufe überraschend abstrakt, und das Spiel sei schlecht ausbalanciert. Der Verrat-Mechanismus funktioniere nur in großer Runde gut.

Ich besitze SCHATTEN ÜBER CAMELOT schon lange nicht mehr, deshalb habe ich mein Urteil seit schätzungsweise 19,5 Jahren nicht mehr überprüft. Kooperative Spiele waren vor 20 Jahren noch ungewöhnlich; möglicherweise hatte ich einfach nicht die richtigen Runden dafür. Mich erstaunte dann, dass SCHATTEN ÜBER CAMELOT in der allgemeinen Wahrnehmung deutlich besser abschnitt als in meinen Gruppen. Das Spiel heimste Nominierungen und Auszeichnungen ein und bekam sogar einen Sonderpreis „Fantastisches Spiel“ der Spiel-des-Jahres-Jury.

Heute weiß man vom überragenden Siegeszug der kooperativen (Euro-)Spiele für Erwachsene. PANDEMIE (Matt Leacock, 2008) war der entscheidende Durchbruch. Wenn man nach Wegbereitern fragt, also älteren, vergleichbaren Spielen, die dank weltweiter Verbreitung Inspiration und Vorbild sein konnten, wäre meine erste Antwort Reiner Knizias DER HERR DER RINGE (2000). Und die zweite: SCHATTEN ÜBER CAMELOT.

Im englisch- und französischsprachigen Raum dürfte SCHATTEN ÜBER CAMELOT sogar das bedeutendere Spiel gewesen sein. Auf Boardgamegeek hat es mehr Bewertungen und steht einige Plätze höher als DER HERR DER RINGE. Sicher liegt das auch daran, dass DER HERR DER RINGE „zu früh“ da war, noch kurz bevor das Spielen international boomte. Aber ganz unabhängig von der Frage, welches der beiden Spiele nun wichtiger war: Die Besonderheit von SCHATTEN ÜBER CAMELOT habe ich 2005 klar unterschätzt. Ich hätte nie geahnt, dass sich hier ein mächtiges Genre entwickeln könnte, für das dieses Spiel mitbegründend wäre.

Ich glaube, meine Vorstellung von einem guten Spiel war damals noch enger. Aber zum Glück erweitert Spielen ja Horizonte. Auch spielerische Horizonte. Die Spiele sind in den vergangenen 20 Jahren gewachsen, man selbst wächst – hoffentlich – mit.


Vor 20 Jahren (149): Fürchterliche Feinde

Fluffys aus TIME TROUBLE

Diese Begebenheit habe ich an anderer Stelle schon einmal aufgeschrieben. Aber sie gefällt mir gut genug für eine Wiederholung. Ohnehin muss ich meinen Stoff für diese Rubrik ein bisschen strecken, denn von den vielen Spielen des Jahres 2005 habe ich gerade mal zehn behalten – was für zwölf Teile „Vor 20 Jahren“ arg knapp bemessen ist. Und ja, FÜRCHTERLICHE FEINDE ist ein Spiel von Friedemann Friese aus dem Jahr 2006. Es ist also noch gar nicht 20 Jahre alt. Da es entgegen der Überschrift aber auch nicht um dieses Spiel geht, mag der Anachronismus okay sein. Und, ebenfalls ja, das Bild der vermeintlichen fürchterlichen Feinde stammt von einem ganz anderen Spiel, nämlich TIME TROUBLE (Hans im Glück, 2024). – Das ist schon eine ziemlich wilde Zeitreise hier.

Meine kleine Geschichte spielt in Göttingen auf dem Autor:innentreffen 2005. Da stand ein Autor hinter seinem Pult auf, zeigte mit dem Finger auf mich und rief quer durchs Foyer in meine Richtung, wir seien miteinander verfeindet. Ob ich das wisse? – Äääh … nein. Tatsächlich erfuhr ich von unserem komplizierten Beziehungsstatus gerade erst in diesem Moment. Und dabei hätte ich es eigentlich längst wissen sollen, dachte ich, denn zum Miteinander-verfeindet-Sein gehören doch üblicherweise zwei?

Ich kramte in meinem Gedächtnis, ob ich irgendwann ein Spiel meines sehr überraschend aufgeploppten Feindes schlecht besprochen haben könnte, aber mir fiel keines ein. Mir fiel überhaupt kein Spiel dieses Autors ein, das ich jemals besprochen hatte. Was also wollte der von mir?

Es stellte sich heraus, dass man mich mit einem anderen Kritiker der Fairplay verwechselt hatte. Und dass es um eine Lappalie ging; zudem eine Lappalie aus dem Jahr 2002. Da hatte es auf der Messe in Essen eine nett gemeinte Ausstellung mit den Spielen von Alex Randolph gegeben, und der Fairplay-Autor, der nicht ich war, hatte bemängelt, in der Ausstellung hätte mehr gespielt werden sollen; man erfahre die Randolphschen Werke nicht durch reines Anschauen.

Es lässt sich diskutieren, ob die nett gemeinte Ausstellung überhaupt die Relevanz besitzt, um im Rahmen des Messeberichtes einer Bewertung unterzogen werden zu müssen. Gleichwohl bin ich überrascht, wie sehr die Kritik die Verantwortlichen verletzt hatte, dass sie selbst zweieinhalb Jahre später noch mit mir Unschuldslamm verfeindet sein wollten.

Zurückblickend auf all meine Fairplay-Jahre erinnere ich mich an insgesamt drei Begebenheiten, in denen ich für einen anderen Fairplay-Kritiker gehalten worden war. Und es war immer derselbe – weshalb ich nicht an Zufall glaube. Vermutlich steckten Vorurteile dahinter. Ich hatte damals lange Haare; der andere Fairplay-Autor eckte mit seinen Artikeln gerne mal an. Und offenbar schloss man: Na, so etwas Empörendes schreibt doch sicher nur dieser Fairplay-Bombenleger!


Vor 20 Jahren (148): Manila

Karten aus LUDOVIEL

MANILA (von Franz-Benno Delonge bei Zoch) ist ein Zockspiel. Wir wetten unter anderem auf den Einlauf von Schiffen im Hafen. Zwischendurch werden die Schiffe mehrfach per Würfelwurf voranbewegt. Unter Berücksichtigung der veränderten Spielsituation platzieren wir immer weitere Wetten. Man kann sich das so ähnlich wie bei CAMEL UP vorstellen (ohne dass beide Spiele allzu viel gemeinsam haben).

MANILA war einer der Mitfavoriten für die Wahl zum Spiel des Jahres 2005. Allerdings nur bis zu jenem Tag, als die Jury Spiel des Jahres ihre Nominierungen und Empfehlungen verkündete: MANILA war nicht dabei. In beiden Fällen. Für den Zoch-Verlag wird das am Ende nicht zu sehr enttäuschend gewesen sein; sie gewannen den Preis trotzdem. Nur eben mit NIAGARA.

Für den Autor war es enttäuschend. Zwar waren die MANILA-Rezensionen eher gemischt ausgefallen, aber beim Spiel-des-Jahres-Tippspiel im damals noch sehr relevanten spielbox-Forum wurde MANILA als heißer Kandidat gehandelt. Auch diverse Nominierungen für Spielepreise in anderen Ländern (Frankreich, Niederlande, Japan, USA usw.) und der dritte Platz beim Deutschen Spielepreis 2005 zeugten von der Beliebtheit des Spiels.

Franz-Benno Delonge schrieb in den Nuller-Jahren regelmäßig Beiträge im spielbox-Forum. Nur Nebenbemerkungen lassen erahnen, welche Hoffnungen er sich mit MANILA gemacht hatte. Als etwa der Autor Bruno Faidutti MANILA zu einem seiner drei Lieblingsspiele 2005 erklärt hatte, dankte Delonge ihm und schrieb: „Das baut einen dann doch wieder auf.“

Ich möchte da nicht in der Haut von Autor:innen stecken. Natürlich giert man nach Feedback und Bestätigung und fiebert mit dem eigenen Spiel mit. Und gewiss freut man sich sehr, wenn das eigene Spiel in sozialen Medien gelobt und in Tipp-Spielen genannt wird. Aber Tipp-Spiele sind eben nur Tipp-Spiele. Viele, die da mittippen, haben ganz sicher nicht den kompletten Jahrgang durchgespielt. Und es sind Tipp-Spiele in einer Bubble, die sich gegenseitig bestärkt. Manche kannten MANILA vermutlich gar nicht und tippten nach Hörensagen. Und warum auch nicht? Es ist ja nur ein Tippspiel. Eine Spielerei. Eine Spekulation, so wie man auch mit Waren und Schiffen in MANILA spekuliert. Und am Ende vielleicht danebenliegt.

Direkt zur Jury-Entscheidung äußerte sich Delonge nicht. Ich würde sagen: klugerweise nicht. Dass Autor:innen Kritiker:innen und Jury-Mitglieder öffentlich kritisieren, erlebt man nur selten. Vermutlich, weil die Autor:innen annehmen, dass es nicht souverän wirkt oder gegen sie verwendet werden kann oder zwecklos ist oder alles drei zusammen. Außerdem würdigt es die anderen Spiele herab, wenn man behauptet, das eigene sei besser.

War MANILA besser? Ich weiß es nicht. MANILA war für meine Begriffe das deutlich rundere Spiel, NIAGARA glänzte dagegen durch Material und Aufforderungscharakter. Im Rückblick weiß man, dass NIAGARA sich nicht zu einem modernen Klassiker entwickelt hat. Das hätte ich aber auch MANILA nicht zugetraut.


Vor 20 Jahren (147): Zug um Zug Europa

Zug um Zug Europa: Cover

Unter Marketinggesichtspunkten hatte das Spiel des Jahres 2004 ZUG UM ZUG von Alan Moon einen Nachteil: Es ließ sich schlecht erweitern. Gleichzeitig hatte ZUG UM ZUG einen großen Vorteil: Es ließ sich schlecht erweitern. Um auch mal auf anderen Spielplänen statt immer nur Nordamerika spielen zu können, mussten die Fans ganz neue Ausgaben mit ganz neuem Material kaufen.

Und es funktionierte.

Blendend.

Zumal ZUG UM ZUG vergleichsweise einfach gehalten ist, während die späteren Versionen oft ein paar Regeln draufsatteln und dadurch für Menschen, die das Spielprinzip schon kennen, neue Reize bieten. Bei mir und im Falle von ZUG UM ZUG EUROPA war es jedenfalls so. Nachdem es ZUG UM ZUG EUROPA gab, spielte ich fast nur noch dieses und fast überhaupt nicht mehr ZUG UM ZUG.

An ZUG UM ZUG EUROPA gefällt mir vor allem besser, dass es nicht so sehr auf das Bauen langer Strecken ankommt. Genau genommen gibt es kaum lange Strecken, die jemand bauen könnte. Auch besser: Bis auf den Startauftrag klaffen die Punktwerte der Aufträge nicht mehr so arg auseinander. Und: die Bahnhöfe als Notfallplan, um Strecken zu überbrücken, die man nicht selbst bebaut hat.

Die anderen Änderungen (dass manche Streckenabschnitte Joker kosten und dass jeder Tunnelbau ein Zockerspiel im Spiel initiiert) finde ich zumindest nicht negativ. Vielleicht sollen sie Anreize setzen, um nicht dauernd vom Stapel zu ziehen, sondern häufiger gezielt Karten aus der Auslage zu wählen, gegebenenfalls auch mal einen Joker. Falls das stimmt, prallte das an meiner Runde, mit der ich damals ZUG UM ZUG EUROPA hauptsächlich und auch wirklich sehr häufig spielte, ab: Wir haben trotzdem bevorzugt vom Stapel gezogen. Könnte ja sein, dass man mit Glück einen Joker ergattert. Es zeigte sich auch immer wieder: Kaum nahm man mal aus der Auslage, war man prompt der Depp. Weil dann nämlich der Joker aufgedeckt wurde, den man gezogen hätte ... hätte man gezogen.

Der Reiz von ZUG UM ZUG und auch ZUG UM ZUG EUROPA beruht auf der Komposition sehr klarer Mechanismen. Ich sammle Farbkarten. Aber nicht aus Selbstzweck oder für Mehrheiten. Sondern mit den Karten errichte ich Zuglinien auf einem Spielbrett. Und wozu braucht man Eisenbahnen? Um Städte zu verbinden. Dass lange Strecken belohnt werden und dass ich Aufträge erfüllen soll, ergibt sich folgerichtig.

Die Reduktion ist der große Trumpf des Spiels: Es kostet nicht noch zusätzlich Geld, die Linien zu bauen. Ich benötige keine Baurechte. Ich muss nicht kompliziert irgendwas reservieren. Und ich muss eine Linie auch nicht immer weiter fortsetzen. Ich lege Farbkarten und bebaue entsprechend viele gleichfarbige Felder. Fertig.

Das Kartennehmen ist genauso einfach. Ich nehme sie einfach. Aus der Auslage oder vom Stapel. Sie werden nicht versteigert, ich muss nicht dafür bezahlen, es kostet einfach nur meinen Zug. Die Karten selbst kommen ohne jeden Schnickschnack aus: Es gibt unterschiedliche Farben, es gibt Joker. Mehr nicht. Und für jede Farbe gibt es auf dem Spielplan unterschiedliche Stellen, um sie einzusetzen. Welche Karte welche Möglichkeiten bietet, ist glasklar.

Kaum jemand kämpft bei ZUG UM ZUG mit den Regeln. Die Unkompliziertheit bewirkt, dass der Fokus der Spieler:innen statt auf den Mechanismen auf dem Spielgeschehen liegt: Bekomme ich die erhoffte Karte? Kann ich meine Serie rechtzeitig ausspielen? Schaffe ich alle Aufträge? Wäre es verwegen, noch neue zu ziehen? Die Spannung ist deshalb so groß, weil nichts Unnötiges davon ablenkt.


Vor 20 Jahren (146): Ubongo

Ubongo: Cover

UBONGO (von Grzegorz Rejchtman bei Kosmos) ist eines der wenigen Spiele, die auch ohne die Auszeichnung „Spiel des Jahres“ zum Longseller wurden. Ich vermute, dass UBONGO sogar bekannter und verbreiteter ist als das 2005er Spiel des Jahres NIAGARA.

Also eine Fehlentscheidung, nicht UBONGO zu wählen? Nun ja, erstens ist es hinterher immer leicht, es vorher gewusst zu haben. Zweitens geht es bei der Wahl eines Titelträgers auch gar nicht darum, dasjenige Spiel herauszufiltern, welches die besten Verkaufszahlen erreichen wird. Sonst könnte man sich die Sache sehr erleichtern und jedes Jahr einfach irgendein MONOPOLY-Dingens küren. Nein, es geht eben auch um Kriterien wie Schöpfungshöhe und Originalität, Handhabung und Thema, Optik und Material.

Ich war 2005 beim Auswahlprozess nicht dabei, deshalb kann ich munter drauflos spekulieren: Woran lag’s vielleicht?

UBONGO hat eine ziemliche Schwäche. Die Wertungsphase läuft chaotisch ab. Figuren kippen um, Edelsteine fliegen durch die Gegend, es gibt Streit, wer wann hätte ziehen und nehmen sollen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen das Edelstein-Grabbeln tatsächlich regelkonform spielen können. Dass dies stattfinden soll, noch während die Sanduhr läuft, ist meines Erachtens eine Design-Fehlentscheidung.

Auch die thematische Einbettung von UBONGO ist fragwürdig. Die Grafik versammelt irgendwelche Afrika-Klischees, deren Bezug zum Spiel nicht erkennbar ist. Und Grund Nummer drei, warum UBONGO nicht gewählt (und nicht mal nominiert!) (und nicht mal empfohlen!) worden ist, mag – wie gesagt: ich spekuliere! – die Neigung sein, das allzu Einfache abzuwerten.

Diese Neigung nehme ich nicht nur bei Kritiker:innen wahr – inklusive mir selbst, wie ich leider zugeben muss. Auch bei Spieler:innen beobachte ich das. Viele tun sich leichter damit, kompliziertere Spiele gut zu finden. Und das gilt nicht nur für Vielspieler:innen. Auch Normalos überraschen mich am Ende eines Spielenachmittags immer wieder, indem sie das Spiel, das sie mit Ach und Krach und mit viel Hilfe gerade so über die Bühne bringen konnten, besser bewerten als eins, das sie nach meiner Wahrnehmung gut verstanden und mit sichtbarem Spaß genossen hatten.

Gewiss gilt das nicht für alle Spieler:innen, aber doch für genügend viele, dass es mir als Muster auffällt: Einem Vergnügen, das man einfach so empfindet, ohne es sich mühevoll erarbeitet zu haben, misstrauen manche. Es ist offenbar gefühlt ein zu billiges Vergnügen. „Nichts Richtiges“.

UBONGO ist dieses sehr einfache Vergnügen. Das Spiel folgt einer einzigen großen Idee: Hier hast du drei oder vier Puzzleteile. Bau damit, so schnell du kannst, dein Raster voll! Und weil das der Kern von UBONGO ist und nicht die Auswertungsphase, stören sich beim Spielen vermutlich gar nicht so viele Leute daran, wenn das Edelsteingegrabbel weniger toll ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich UBONGO bereits 2005 gegenüber NIAGARA vorgezogen habe. Aber ein paar Jahre später war ich definitiv soweit. Denn NIAGARA beisitze ich schon lange nicht mehr, UBONGO noch immer.


Vor 20 Jahren (145): Louis XIV

Louis XIV: Cover

Folgendes Fax erreichte im Januar 2006 die Stuttgarter Zeitung und in Weiterleitung kurz darauf auch mich:

„Aufgrund einer überschwänglichen Empfehlung in Ihrer Zeitung habe ich das Spiel „Louis Quatorze“ [sic] gekauft. (…) Zu viert haben wir’s kürzlich angepackt und saßen eines langen Abends zunehmend ratlos vor einer schwer verständlichen, äußerst umfangreichen, umständlichen Gebrauchsanweisung. Keine Ränke, durch Bestechung kaum wenig zu erreichen [sic], irgendwann ging das Spielgeld aus, dann die Wappen, die man zum Gewinnen braucht. Zäh schleppte sich das Spiel voran, zu einem mühsamen Ende. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß derjenige, der den Artikel geschrieben hat, niemals das Spiel ausprobiert und lediglich die Herstellerinformationen abgeschrieben hat. Und es ist keine Ränke, wenn ich der Redaktion vorschlage, dass dieser Journalist dazu verdonnert werden sollte, selbst einmal den Louis IX [sic] auszuprobieren.“

Wer schon mal Texte von mir gelesen hat, erkennt den offensichtlichsten Fehler des Schreibens sofort: Es ist „überschwänglich“. – Okay, tatsächlich hielt ich LOUIS XIV (Rüdiger Dorn bei alea) für ein gutes Spiel. Allerdings finde ich in meinem Artikel nach 14 Zeilen gröbster Spielbeschreibung an Wertung nur Folgendes: „Die Raffinesse dieses Ränkespiels überzeugte auch die Juroren des Deutschen Spielepreises: „Louis XIV“ ist der aktuelle Titelträger.“

Die Empfehlung ergab sich im Wesentlichen daraus, dass ich LOUIS XIV für diesen Artikel mit Spieletipps zu Weihnachten 2005 überhaupt ausgewählt hatte: als eines von sieben Spielen und bezeichnet als „Spiel für Experten“. Die Viererrunde, die an LOUIS XIV gescheitert war, bestand offenbar nicht aus Expert:innen. Dass ihnen Spielgeld und Wappen ausgingen, deutete stark auf Regelfehler hin.

Meine Antwort ist nicht archiviert. Vermutlich habe ich noch mal auf die Wahl zum Deutschen Spielepreis hingewiesen, die immerhin zeigt, dass nicht nur ich das Spiel für besonders gut hielt. Möglicherweise habe ich sogar angeboten, mich bei Regelfragen zu kontaktieren. Und ganz sicher habe ich die Unterstellung zurückgewiesen, LOUIS XIV gar nicht aus eigener Erfahrung zu kennen. Es war damals eines meiner meistgespielten Spiele.

Eine Antwort erhielt ich nie. Vom Redakteur der Stuttgarter Zeitung bekam ich immerhin das Lob, ich hätte die Angelegenheit mit viel Fingerspitzengefühl geregelt. Bei mir blieb trotzdem ein schlechter Beigeschmack. Obwohl ich der Meinung gewesen war, mich in Tageszeitungen mit Freakspielen betont zurückzuhalten, hielt ich mich fortan noch mehr zurück. Erst recht in Artikeln, die vor Weihnachten erschienen.

Klar, man kann argumentieren: Wenn wir den Menschen immer nur das ans Herz legen, was ihren Erwartungen und Einstellungen entspricht, erweitern wir nicht ihren Horizont und verfestigen das Vorurteil, Spielen sei Gurkenkram.

Und tatsächlich bin ich nicht Kritiker geworden, um den Menschen die siebzehnte MONOPOLY-Variante zu empfehlen. Aber eben auch nicht, um sie an LOUIS XIV scheitern zu lassen. Das Problem: Die Besonderheiten eines rein mechanisch interessanten Spiels wie LOUIS XIV lassen sich für ein Tageszeitungspublikum schwerlich in 14 Zeilen erklären. Deshalb bin ich in meiner Beschreibung stärker aufs Thema ausgewichen und habe offenbar falsche Erwartungen geweckt.

Ich bin durchaus dafür, in Tageszeitungen Spiele wie PANDEMIC LEGACY oder E-MISSION oder WEIMAR vorzustellen (allesamt komplexer und regelintensiver, aber eben auch thematischer als LOUIS XIV). Um zu zeigen: Das kann Brettspiel! Aber so etwas funktioniert nicht als 14-zeiliger Spiele-Tipp. Sondern nur mit genügend Raum für eine gründliche Einordnung.

Wie sehr mich die Zuschrift damals aufschreckte, erkenne ich daran, dass bis heute meine erste Assoziation zu LOUIS XIV genau dieser Vorfall ist, während ich die Mechanismen des Spiels nur noch schemenhaft in Erinnerung habe. Ich sollte mich wohl selbst dazu verdonnern, LOUIS XIV mal wieder auszuprobieren.


Vor 20 Jahren (144): Akaba

Akaba Cover

Vor 20 Jahren stellte ich hin und wieder auch Kinderspiele in meinen diversen Printmedien vor. Weshalb ich hin und wieder auch Kinderspiele spielte. Mit Kindern logischerweise. Mangels eigener war das aber gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Ich musste die Kinder von Freunden rekrutieren, während ich so tat, als würde ich jene Freunde besuchen.

Insgeheim hatte ich natürlich nur die spielerische Verwertbarkeit des Treffens im Sinn. Aber ich brauchte gar kein allzu schlechtes Gewissen zu haben. Denn die Kinder fanden das toll. Und die Eltern fanden das auch toll. Und dann noch ich. Es stimmt schon, wenn man sagt: Beim Spielen gewinnen alle.

Einer unserer absoluten Favoriten damals war AKABA von Guido Hoffmann, ein Spiel mit Blasebalg. Den setzte man unter der eigenen Flugfigur an und pustete sie Stück für Stück weiter, um am Markt verschiedene Stände anzufliegen und dort Besorgungen zu machen. Man musste sich ganz schön geschickt anstellen mit dem Pusteding, denn die fliegenden Teppiche waren sehr leicht. Schnell flog man zu weit oder legte eine Bruchlandung hin.

Ich war dann reichlich überrascht, AKABA nicht wenigstens auf der sehr, sehr, sehr langen 2005er Empfehlungsliste „Kinderspiel des Jahres“ zu finden. Eigentlich hatte ich sogar mit einer Nominierung gerechnet.

Die mögliche Erklärung, so würde ich aus heutiger Sicht vermuten, steht schon in meinem Text. Hier noch mal: „Man musste sich ganz schön geschickt anstellen mit dem Pusteding, denn die fliegenden Teppiche waren sehr leicht. Schnell flog man zu weit oder legte eine Bruchlandung hin.“

Zweifellos verschiebt es die Ansprüche und Wahrnehmungen, wenn man – wie ich – in einer gemischten Runde mit Kindern und Erwachsenen spielt. Zudem mit Kindern, die für ihr Alter schon sehr geübt waren. In AKABA ging es auch nicht bloß um Geschicklichkeit. Das Spiel hatte zudem eine erhebliche Hektikkomponente und obendrein ein Memory-Element.

Im Nachhinein wundere ich mich also gar nicht mehr so sehr, dass AKABA von der Kinderspiel-Jury nicht empfohlen wurde. Und ich schreibe bewusst nicht „dass es übersehen wurde“ oder „dass es ignoriert wurde“. Ich bin mir sehr sicher, ein Spiel von dieser Originalität und mit diesem Aufforderungscharakter wurde weder übersehen noch ignoriert. Sondern lediglich nicht gewählt.

Dass ich auf der richtigen Fährte sein könnte, zeigt mir der Titelträger 2006. Das war DER SCHWARZE PIRAT. Ebenfalls ein Spiel von Guido Hoffmann, ebenfalls mit Blasebalg. Aber einfacher. Und für Kinder noch längst nicht leicht. Noch immer musste man sich mit dem Pusteding geschickt anstellen. Und gar nicht mal alle Kinder kriegten das gut hin.

Trotzdem war es zu spät, um mich in dieses Spiel zu verlieben. All die grandiosen Erlebnisse hatte ich mit AKABA gehabt, DER SCHWARZE PIRAT war da wie ein zweiter Aufguss. Und obwohl ich heute gar nicht mehr mit Kindern spiele, besitze ich AKABA noch immer. Wegen damals.


Vor 20 Jahren (143): Sole Mio!

Sole Mio: Cover

MAMMA MIA! gehört zu den Spielen mit meiner schlechtesten Siegbilanz. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich trotz zahlreicher Versuche überhaupt je gewonnen habe. Als dann sechs Jahre später (und vor 20 Jahren) die MAMMA MIA!-Variante SOLE MIO! (beide Spiele von Uwe Rosenberg) erschien, war eigentlich klar: Es kann nur besser werden!

Eigentlich. Doch wie sich herausstellte, ist das eine doofe Floskel. Nur weil etwas schlecht ist, muss es gar nicht besser werden. Es kann zum Beispiel einfach genauso schlecht bleiben. Und potztausend: So war es! Auch an einen Sieg bei SOLE MIO! kann ich mich nicht erinnern. Und ich würde mich erinnern. Denn ich hätte das besondere Ereignis doch sicherlich mit einem unvergesslichen Tänzchen um den Tisch zelebriert.

Aber ich bin weiterhin an der Sache dran, und sobald ich’s geschafft habe, werde ich es hier natürlich sofort melden. Bei MAMMA MIA! wird das allerdings auf längere Sicht nicht klappen können. Wenn wir eines der beiden Spiele spielen, dann SOLE MIO!

Warum? Weil wir es mehr mögen. Dass man anderen beim Erfüllen ihrer Rezepte helfen darf (und dann als Belohnung selbst ein Rezept loswird) empfinden meine Spielerunde und ich als klare Verbesserung. Es bringt auch noch mal eine andere Taktik ins Spiel. Und Interaktion: Wann helfe ich? Wann nicht? Und wie viel lasse ich mich das kosten? Spendiere ich tatsächlich drei Zutaten? Absolut ungern. Aber vielleicht dann doch, bevor es wer anders tut.

Und wenn ich selbst derjenige bin, der Hilfe braucht: Nach wie vielen Zutaten frage ich? Nur nach der einen, der mir fehlt? Oder dreist nach zweien, damit ich heimlich eine Karte spare? Vielleicht verzocke ich mich dann, weil niemand das Gewünschte geben kann. Oder will.

Sehr angenehm finde ich auch, dass die Pizzarezepte in SOLE MIO! von der eigenen Spielfarbe entkoppelt sind. In MAMMA MIA! wäre es für mich als Gelbspieler sehr nachteilig, wenig Ananas zu bekommen. Denn bei sieben von acht Rezepten läuft ohne Pflichtananas gar nichts.

Andererseits hat MAMMA MIA! auch einen großen Vorteil: Die Rezepte sind intuitiv verständlich, während wir in SOLE MIO!, wenn wir es nach etwa einem Jahr Spielpause mal wieder hervorholen, so manche Kartenbedeutung zum x-ten Mal nachschlagen müssen. Vielleicht ist die größere Kompliziertheit der Grund, warum sich SOLE MIO! im Gegensatz zu MAMMA MIA! nicht durchgesetzt hat.

Dass es bei Abacusspiele nicht mehr im Programm ist, empfinde ich sogar als doppelten Verlust. 1. Neue Fans können nicht SOLE MIO! spielen. 2. Und sie können nicht beide Spiele mischen und MAMMA MIA! GRANDE spielen.

Welches ich übrigens auch noch nie gewonnen habe. Aber das hätte ich sicherlich gar nicht extra sagen müssen.


Vor 20 Jahren (142): Fairy Tale

Fairy Tale: Cover

In ihrer Oktober-Ausgabe 2004 veröffentlichte die Fairplay einen Artikel von mir über die Spieleszenen in Japan und Südkorea. Auf das Thema war ich nicht selbst gestoßen, sondern jemand hatte es mir vorgeschlagen und mich gelockt mit der Aussicht, Kontakte zu Interviewpartner:innen vermitteln zu können. Das würde also gar nicht so aufwendig sein. Hieß es. Wie sich später herausstellte, wussten die vermeintlichen Interviewpartner:innen noch gar nichts von ihrem Glück. Und einige hatten auch kein Interesse, sich mit mir auszutauschen.

Aber vielleicht gar nicht schlecht. So musste ich von Beginn an selbst recherchieren und fand sehr hilfsbereite Interviewpartner:innen aus Japan, Südkorea und Deutschland. Die innerdeutschen Interviews führte ich am Telefon, die anderen per Mail, was auf der Gegenseite sehr viel Zeit und sehr viel Geduld erforderte, weil es ganz viel zu schreiben gab – und dann nicht mal in der Landessprache (sondern in etwas, von dem ich hoffte, es sei Englisch). Deshalb auch 20 Jahre später noch einmal meinen herzlichen Dank für die großartige Unterstützung! Es war mir eine Ehre.

Doch offenbar galt das auch umgekehrt. Auf der Messe in Essen strömten überraschend viele Japaner:innen und Südkoreaner:innen an den Fairplay-Stand, um das Heft zu kaufen, das sie sicherlich gar nicht lesen konnten. Einer meiner japanischen Interviewpartner kam in Begleitung eines Verlegers. Und der wiederum überreichte mir als Geschenk ein Spiel. Und wer die Überschrift dieses Posts gelesen hat, ahnt schon, welches es gewesen sein könnte: FAIRY TALE von Satoshi Nakamura.

Ein Geschenk zu erhalten, war ohnehin schon eine tolle Geste. Hinzu kam: Das Spiel entpuppte sich als mein Messe-Highlight! Eine absolute Überraschung, die – zumindest für mich – wie aus heiterem Himmel gekommen war.


Fairy Tale: Karten

FAIRY TALE ist ein frühes Draftingspiel. In vier Runden will ich eine punkteträchtige Auslage (mein Märchen) erschaffen. In jeder Runde erdrafte ich mir fünf Karten, drei davon spiele ich. Manche Karten haben Ausspieleffekte und greifen zeitgleich gespielte Karten an oder blocken sie ab; manche verlangen als Preis, dass ich Karten in meiner Auslage verdecke und somit neutralisiere; manche lassen mich Karten wieder aufdecken. Karten zu verdecken, muss übrigens gar nicht immer schlecht sein. Denn manche zählen Minuspunkte. Ich spiele sie nur wegen des starken Soforteffekts. Aus meinem Märchen möchte ich sie dann bei Gelegenheit rausstreichen.

Die verdeckte Kartenweitergabe war im Jahr 2004 noch ein sehr ungewöhnlicher Mechanismus. FAIRY TALE war originell und innovativ. Und wegen der Grafiken, der japanischen Schriftzeichen und der sehr plakativen englischen Kurzanweisungen auf den Karten war es auch exotisch. Wegen dieser Qualitäten ist FAIRY TALE für mich herausragend. Die Kombination mit dem Erinnerungswert macht FAIRY TALE obendrein zu einem Spiel, das selbst bei einer möglichen Sammlungsverkleinerung niemals zur Disposition stehen wird.


Vor 20 Jahren (141): Das Zepter von Zavandor

09. September 2024 um 22:01
Das Zepter von Zavandor Cover

„Diesen Zug habe ich jetzt nicht verstanden!“ Der Satz hat sich bei mir eingebrannt. Gemeint war mein Zug. Die Begebenheit mag locker dreißig Jahre her sein. Und ich weiß auch gar nicht mehr, um welches Spiel es ging. Aber ich weiß noch, wer es sagte und in welcher öffentlichen Spielerunde. Nach meiner Erinnerung war die Person noch gar nicht richtig zur Tür hereingekommen, meinte aber trotzdem, nach zwei Sekunden und aus drei Metern Entfernung die Situation auf unserem Spieltisch mit Kennerblick erfassen und bewerten zu können.

Muss ich erwähnen, dass das nicht mein Lieblingsmitspieler war? Genauer gesagt: einer von zwei Nicht-Lieblingsmitspielern in dieser Runde. Auf öffentlichen Treffs kann man sich das leider nicht immer aussuchen. Und so geriet ich eben ab und zu auch an einen dieser beiden (schon etwas älteren) Herren, die gerne heraushängen ließen, wie viele Epochen der Geschichte des Brettspiels sie seit Erfindung der Knochenwürfel als Zeitzeugen miterlebt hatten.

Lediglich mit aktuelleren Titeln kannten sie sich nicht so gut aus. Machte aber nichts, denn die alten Spiele waren ja sowieso viel besser. Und so musste ich in dieser Runde umständehalber ab und zu vermeintliche Perlen aus den Achtzigern mitspielen, die ich schon zu ihrer Zeit nicht abgefeiert hätte. Außerdem waren wir ja bereits in den Neunzigern.

Mit DAS ZEPTER VON ZAVANDOR aus den Nuller-Jahren hat das erst mal gar nichts zu tun, außer dass ich in genau dieser besagten Runde zum ersten und bislang einzigen Mal OUTPOST (James Hlavaty und Timothy Moore, 1991) spielte, das – soweit ich weiß (und bei Boardgamegeek steht’s auch) – die Basis für DAS ZEPTER VON ZAVANDOR (Jens Drögemüller, 2004) bildete. Weil besagte Mitspieler OUTPOST kannten und offenbar gut fanden, nahm ich bis kurz vor dem Schreiben dieses Artikels irrtümlich an, OUTPOST müsse ebenfalls ein Werk aus den glorreichen Achtzigern sein.

Einer, der zu spät gekommen war und nicht mitspielte, sich aber gerne als Kiebitz danebensetzte, um mir zu erklären, wie man OUTPOST üblicherweise spielen sollte, sagte, es gebe nur zwei Strategien. Gemäß seinen Weisungen versuchte ich mich an einer der beiden. Aber anscheinend verbockte ich es. Auch wenn ich mich an Details der Partie nicht erinnere: Dass ich nicht gewonnen habe, weiß ich sicher.

Kleiner Zeitsprung zu DAS ZEPTER VON ZAVANDOR: Als es bei dessen Erscheinen hieß, das Spiel sei an OUTPOST angelehnt, war ich sofort interessiert. Denn OUTPOST hatte ich vom Grundprinzip her eigentlich ganz reizvoll gefunden. Und ich fand die Vorstellung sogar noch viel reizvoller, mir das Spiel in aller Ruhe selbst anzueignen und mir mein eigenes Urteil zu bilden, ob es zwei Strategien gab oder sonst wie viele. DAS ZEPTER VON ZAVANDOR habe ich oft und gerne gespielt; von den OUTPOST-Spezialisten war da niemand mehr dabei. Was vielleicht in einem Zusammenhang steht.

Nachdem ich bislang nur meine Befindlichkeiten ausgebreitet (danke fürs Zuhören!) und nahezu nichts über DAS ZEPTER VON ZAVANDOR geschrieben habe, will ich aus Chronistenpflicht zumindest ergänzen, dass es beim Deutschen Spielepreis 2005 den 9. Platz belegte. Auf den Autor Jens Drögemüller komme ich noch zeitnah zurück. Die Folgen 237 (TERRA MYSTICA) und 299 (GAIA PROJECT) sind bereits reserviert.


Vor 20 Jahren (140): Goa

Goa: Cover neue Ausgabe

Denke ich an GOA, denke ich an die „A-Karten“. So nämlich bezeichnete ich die Zusatzaktionskarten in meiner Fairplay-Rezension im Jahr 2004. Natürlich sind diese Karten nicht wirklich „A-Karten“ in dem Sinne, wie man den Ausdruck üblicherweise gebraucht (Wer es nicht weiß: „A“ steht für eine bestimmte Körperregion – die „Achselhöhle“).

„A-Karten“ in GOA sind nichts Negatives, sondern ganz im Gegenteil sehr starke und begehrte Karten, die zusätzlich zu den drei Aktionen pro Runde eine weitere Aktion spendieren, wenn man die Karte dafür abgibt.

Warum also die Bezeichnung „A-Karte“, wenn es doch offenbar unsinnig ist? Klare Sache: Weil es unsinnig ist! Auf den Karten steht ein dickes, fettes „A“, und für Spielmaterial absichtliche Falschbezeichnungen zu ersinnen, ist in meinen Spielerunden seit jeher ein beliebter Sport. Irgendwer und nicht notwendigerweise ich prägte den Begriff, und er blieb bei allen weiteren GOA-Partien haften.

Kurz nach Erscheinen meines Artikels interviewte ich den GOA-Autor Rüdiger Dorn, und zu meiner Freude hatte er tatsächlich davon gehört oder es sogar selbst gelesen, dass da irgendein Vogel seine schönen Zusatzaktionskarten derart verunglimpft hatte. So erzeugte man damals als Rezensent Aufmerksamkeit. Heute gibt es da noch ganz andere Möglichkeiten. Und nebenbei: auch ganz andere Vögel.

Um aber noch kurz beim Thema „damals“ zu bleiben: 1. Wir hatten ja nichts! (Sorry, das muss ich der Nachwelt immer wieder aufs Brot schmieren, sobald eins der Stichworte „damals“, „früher“ oder „tragische Nachkriegskindheit“ fällt. Brot hatten wir übrigens auch nicht.) 2. Die Erfahrung, dass man mich auf meine Artikel ansprach, gab mir damals das Gefühl, was ich schreibe, sei relevant. Glück gehabt: Es gab eben noch nicht so viel wie heute, was informationshungrige Menschen sonst hätten lesen können.


Goa: A-Karte

Heute findet man allein auf YouTube unzählige Rezensionen. Und das sogar schon wenige Tage nach Erscheinen des Spiels. Oder bei boardgamegeek findet man unzählige Noten. Sogar schon etliche Monate vor Erscheinen des Spiels. Wer heute noch einen antiquierten Blog wie REZENSIONEN FÜR MILLIONEN betreibt, hat eindeutig die A-Karte – aber als kleinen Trost auch immerhin die Million.

Ich schweife ab. Eigentlich geht es ja um GOA. GOA war nach DIE HÄNDLER VON GENUA das zweite Spiel von Rüdiger Dorn, das sich an erfahrenere Spieler:innen richtete, und festigte dessen Ruf als Hoffnungsträger für diese Klientel. Warum musste man hoffen? Wir hatten ja nichts! Jetzt mal ganz unironisch: Vor 20 Jahren erschienen nicht annähernd so viele komplexe Spiele wie heute. Da hat sich seitdem sehr, sehr viel getan.

Mit GOA erreichte Rüdiger Dorn 2004 den dritten Platz beim Deutschen Spielepreis (hinter SANKT PETERSBURG und SAN JUAN). Und nur ein Jahr später war er dann der Gewinner. Mit LOUIS XIV. Zu dem Spiel gibt es übrigens ebenfalls eine kleine Geschichte mit einer Rückmeldung auf einen meiner Artikel, diesmal kritischer Art und von einer Leserin der Stuttgarter Zeitung. Ich kann verraten, da ging mir der A ein bisschen auf Grundeis. Aber natürlich erzähle ich das erst in ungefähr einem Jahr. Bin ja kein A. Wie „Anfänger“.


Vor 20 Jahren (139): Dino Booom

Dino Booom

Beim Spielen lachen zu können, ist das Schönste am Spielen. Deswegen war WIE ICH DIE WELT SEHE so ein Volltreffer bei uns. Und deswegen erinnere ich mich auch noch bestens an ein weiteres Spiel aus derselben Zeit, bei dem wir Tränen gelacht haben, weil es einfach zu gut war. Allerdings lachten wir über das Spiel. Schadenfreudig.

Das ging schon vor der Partie los. Beim unschuldigen Ausprobieren der Mechanik. DINO BOOOM (von Dominique Ehrhard und Pierre-Nicolas Lapointe bei Goldsieber) enthielt Plastikstäbe mit Saugnäpfen. Die sollte man auf Pappplättchen rammen; die wiederum sollten an den Saugnäpfen haften bleiben.

Das allerdings funktionierte bestenfalls zwei Sekunden lang. Denn DINO BOOOM kam schon in unbrauchbarem Zustand an. Das habe ich mir natürlich nicht 20 Jahre lang gemerkt; ich entnehme es meiner damaligen Rezension in der Fairplay. Die Plastikstäbe sahen aus, als seien sie das Billigste vom Billigsten. Und ich würde wetten: Sie waren das Billigste vom Billigsten. Die Saugnäpfe waren von Beginn an deformiert und ließen sich auch nicht richten.

Tatsächlich 20 Jahre lang gemerkt habe ich mir aber den Lachflash, der einen meiner Mitspieler überkam, als er seinen Saugstab, nur so zur Probe, auf ein Plättchen poppte. Und zack: Das dünne Stäbchen knickte ab und war hinüber. Tja, fortan konnten nur noch fünf Personen mitspielen, und ich verrate: Bei diesem einen Unfall blieb es nicht.

Übrigens habe ich mir ebenfalls 20 Jahre lang gemerkt, dass ich meine Rezension seinerzeit mit dem Fragesatz eingeleitet hatte: „Warum müssen Spiele idiotensicher sein?“ Und hier ist der Beweis; ich zitiere mich mal selbst: „Warum müssen Spiele idiotensicher sein? Na, ganz klar: Weil ab und zu Idioten mitspielen. In meiner Mittwochs-Runde zum Beispiel. Dort hatten übereifrige Halbstarke schon nach wenigen Minuten die langen Plastikstiele ihrer Saugnapf-Speere zerknickt. Na toll, Jungs!“

„Jungs“, haha. Wir spielen heute immer noch in fast derselben Konstellation. Allerdings sind wir alle seitdem … äh, bis zu zehn Jahre älter geworden. Weiter im Text: „Schicksalsschläge dieser Art hindern den aufrechten Kritiker natürlich nicht an seinen fundierten Testreihen. Wohl reduziert der Materialverschleiß von Partie zu Partie die Zahl der möglichen Teilnehmer, aber da sich gleichzeitig auch die Zahl der Freiwilligen lichtet, entsteht letztlich kein Nachteil.

Wie ungefähr alle Goldsieber-Spiele funktioniert DINO BOOOM ein bisschen anders, als man uns auf der Messe glauben machen wollte. „Ist doch wurscht“, scheinen sich die Verantwortlichen zu denken und haben sogar noch recht damit. (…) Vermutlich sollen die Saugnäpfe DINO BOOOM von ähnlichen Spielen abheben. Und zugegebenermaßen bringt das Material tatsächlich den besonderen Pfiff: Wir hatten eindeutig am meisten Spaß, wenn wieder etwas kaputtging.“

Mehr ist nicht zu sagen. Ich schlage eine Schweigeminute für die einst glänzende, aber damals schon sichtbar im Niedergang begriffenen Marke Goldsieber vor.


❌